
Für die Generierung eines Datenkorpus bestehend aus Telemetriedaten wurden auf der virtuellen Rennstrecke über 2200 Runden gefahren. Zum Einsatz kamen dabei die Simulationsplattformen des Living Labs „Motion Simulation und Softwareentwicklung“. (Bildquelle: Jeannine Thiele)
Living Lab der HSMW stellt wissenschaftlichen Datenkorpus im Bereich Fahreranalyse vor
Datum: 18.11.2025 Text: Matthias Vodel & Josefine Welk

In der Publikation zum IMSRacing-Datensatz kann nachgelesen werden, wie die Aufzeichnung der Daten und deren Nachverarbeitung erfolgte. Die Grafik zeigt die unterschiedlichen Faktoren auf, die sich auf die aufgezeichneten Telemetriedaten auswirken und skizziert die Datenerhebung.
(Bildquelle: Richard Vogel)

Im Projekt SAB Innoteam werden neue Simulationsplattformen mit dem Ziel eines gesteigerten Immersionsgrades konzeptioniert und konstruiert. Basis dafür bilden Telemetriedaten. Der KTM Xbow Large-Scale Simulator gehört zu den neuesten Modellen im Living Lab und wurde mit Hilfe von realen Renndaten an das Fahrgefühl des KTM Xbow angepasst.
(Bildquelle: Michael Walther)

Aktuell im Aufbau befindet sich eine Multi-Szenario-Simulationsplattform. Durch mehr Freiheitsgrade wird die Simulationsplattform eine Vielzahl von Szenarien realitätsnah abbilden können, darunter auch das Untersteuern eines Fahrzeuges. Auch bei der Entwicklung dieses Simulators kamen Telemetriedaten zum Einsatz.
(Bildquelle: Michael Walther)

Das im Projekt SAB Innoteam entwickelte „Harmonized Telemetry Format“ (HTF) Datenformat ermöglicht die Analyse von Telemetriedaten aus unterschiedlichen Quellen. Unter Verwendung des in Entwicklung befindlichen Analysetools TRACR lassen sich Fahrdaten analysieren und visualisieren.
(Bildquelle: Max Schlosser)
KI-Anwendungen nehmen einen immer größer werdenden Stellenwert in Forschung und Gesellschaft ein. Sei es die frühzeitige Erkennung von Erkrankungen, die Entwicklung intelligenter Fahrassistenzsysteme oder die Korrektur eines Textes durch Sprachmodelle: In immer mehr Bereichen kommt künstliche Intelligenz zum Einsatz. Unabhängig von der Zielstellung und der Wahl des Modells haben alle Ansätze dabei eins gemeinsam: Es werden große Datenmengen zum Training der Modelle benötigt.
Insbesondere im Bereich der Fahrdatenanalyse liegen wenig öffentlich verfügbare Datensätze vor. Aus diesem Grund wurde im Rahmen des Projektes xBloks ein Datenkorpus aufgezeichnet, der die Basis für verschiedene Forschungsschwerpunkte im Bereich der Fahrdatenanalyse bildet. Dafür wurden über einen Zeitraum von mehreren Monaten und vielen hundert Arbeitsstunden Daten einer breit gestreuten Probandengruppe erhoben. Aufgezeichnet wurden dadurch über 2200 Runden in unterschiedlichen Konfigurationen und veränderlichen Rahmenbedingungen. Zum Einsatz kamen dabei die im Living Lab der Hochschule Mittweida entwickelten und erprobten Simulationsplattformen. Diese emulieren durch unterschiedliche Bewegungsachsen und Freiheitsgrade realitätsnah die Bewegungszustände in einem Fahrzeug. Dies führt wiederum zu deutlich realistischeren Fahrweisen der Probanden.
Genutzt wurde dieser Effekt in verschiedenen Szenarien, welche die Probanden während der Datenaufnahme schrittweise durchliefen. Die Szenarien konnten sich dabei auf softwareseitige Veränderungen (z.B. erhöhter Reifenabrieb), das Verhalten der Probanden (z.B. Fokus auf sicheres Fahren) oder auch die Kombination aus Simulator, Strecke und Fahrzeug beziehen. Durch diesen Ansatz konnten Telemetriedaten erhoben werden, die das Fahrverhalten der Probanden in unterschiedlichen Situationen abbilden. Die durch dieses Vorgehen erhaltenen Rohdaten wurden anschließend weiterverarbeitet. Die Prozesse umfassen dabei bspw. das Filtern vollständiger Runden sowie die Erweiterung der reinen Fahrdaten um Metainformationen zu Fahrer und Rahmenbedingungen.
Der dadurch entstandene Datenkorpus wurde öffentlich zur Verfügung gestellt, wissenschaftlich unter dem Namen IMSRacing publiziert und in nachfolgenden Projekten verwendet.
Auf Grundlage des IMSRacing-Datensatzes etablierte sich unter anderem eine erfolgreiche, internationale Kooperation mit der Universität Helsinki in Finnland. Dort forscht Dr. Otto Lappi im Bereich der Kognitionswissenschaften, unter anderem im Bereich der Fahrsimulation. Unter der Betreuung von Dr. Lappi entstanden mehrere weiterführende Projektarbeiten, so z.B. Untersuchungen zur Aufbereitung fachfremder Datensätze für den Bereich der Kognitionswissenschaften. Als Referenzdatensatz diente hierbei der IMSRacing-Datensatz, erweitert um weitere Datensätze, die im Zuge von Forschung und Lehre des CSMRT entstanden sind. Aus diesen Projekten hat sich eine enge Zusammenarbeit zwischen dem CSMRT und der Forschungsgruppe unter Dr. Lappi etabliert. In regelmäßigen Meetings haben Mitarbeiter des CSMRT nicht nur aktiv bei der Betreuung wissenschaftlicher Arbeiten unterstützt, sondern auch Möglichkeiten weiterführender Wissenschaftsprojekte aufgezeigt. Künftig soll die Kooperation weiter vertieft werden.
Aktuell vorgesehen sind gemeinsame Publikationen sowie ein Besuch des Living Labs durch die finnische Forschungsgruppe um Dr, Lappi. „Die Publikation des IMSRacing-Datensatzes hat uns interessante Kooperationen ermöglicht und neue Möglichkeiten im Bereich interdisziplinärer Forschungsaktivitäten geöffnet“, berichtet der Leiter des Living Labs, Prof. Dr.-Ing. habil. Matthias Vodel. „Obwohl unsere Forschungsgruppen unterschiedliche Schwerpunktfelder haben, liegt unser beider Interessengebiet im Bereich der Datenanalyse. Dr. Lappi und sein Team haben sich in diesem Kontext auf das menschliche Verhalten spezialisiert, wir in Mittweida auf eine möglichst immersive Fahrsimulation sowie die automatisierte Analyse von Fahrdaten im Motorsportkontext. Das passt gut zusammen.“ Die Kombination der beiden Forschungsbereiche könnte demnach spannende Projekte und Ergebnisse in der nahen Zukunft hervorbringen.
Spannende Projekte gibt es aber auch bereits unabhängig von der internationalen Kooperation. Das Projekt xBloks selbst verwendete den Datenkorpus im Bereich des eSports. In den vergangenen Jahren hat sich der Bereich eSports immer weiter in der Gesellschaft etabliert. Spannende Matches, medienwirksame Inszenierungen und hohe Preisgelder sorgen dafür, dass sich Millionen Menschen für den digitalen Sport begeistern können. Doch insbesondere die hohen Preisgelder verleiten Teilnehmer auch zu unlauteren Methoden, um sich den Sieg zu sichern. Insbesondere verteilte eSports-Turniere – also Turniere, bei denen die Teilnehmer nicht an einem Ort zusammenkommen, sondern von zu Hause aus am Wettbewerb teilnehmen – sind anfällig für Betrug. So können Teilnehmer in Rennsimulationen beispielsweise andere Personen für sich antreten lassen, um Turniere und somit entsprechend hohe Preisgelder zu gewinnen. Um solche Betrugsversuche zu erkennen, wurde basierend auf dem IMSRacing-Datensatz ein maschinelles Lernmodell trainiert, welches Fahrer voneinander unterscheiden kann. Dabei wird auf Basis des vorher aufgezeichneten Fahrverhaltens ein digitaler Fingerabdruck erstellt, der dann später mit dem jeweils aktiven Fahrer abgeglichen werden kann.
Neben xBloks bindet auch das SAB Innoteam Projekt „Telemetriedatenbasierte ML-Datenanalyse & Konfigurationsmanagement im Bereich Automotive Simulation“ den IMSRacing-Datensatz ein. Im Kontext des Projektes ist ein standardisiertes Datenformat entstanden, welches die Verwendung von Telemetriedaten aus unterschiedlichen Quellen, z.B. Simulation, ziviles Fahren oder Rennsport, ermöglicht. In den unterschiedlichen Bereichen kommen jeweils angepasste Technologien zur Datenaufzeichnung zum Einsatz, wodurch unterschiedliche Datenrepräsentationen entstehen. Für die verschiedenen Formate gibt es meist herstellerspezifische Auswertungssoftware, die ausschließlich Daten der eigenen, proprietären Software verwendet. Eine Bearbeitung anderer Formate, bspw. im Rahmen vergleichender Analysen, ist dabei meist gar nicht oder nur stark eingeschränkt möglich.
Abhilfe schafft hier das „Harmonized Telemetry Format“ (HTF) Datenformat. Unter der Verwendung einer mehrstufigen Verarbeitungspipeline werden Datenbestände unterschiedlicher Quellen in das neu geschaffene Format überführt, zusammengeführt und visualisiert. So können nun Datenbestände herstellerübergreifend einfach und effizient gemeinsam analysiert werden. Genutzt werden die Analyseergebnisse dann wiederum für die Verbesserung des Immersionsgrades von Simulatoren sowie in der Kooperation mit Motorsport-Unternehmen bzw. Rennsport-Teams.
Weiterführende Informationen zum Labor und den kooperativen Ausbildungsprojekten erteilt Prof. Dr. Matthias Vodel, Tel. +49 3727 58-1010, E-Mail: vodel@hs-mittweida.de
Die Publikation zum IMSRacing-Datensatz finden Sie unter https://ieeexplore.ieee.org/document/9872656
Die Publikation zur automatischen Fahrererkennung finden Sie unter https://ieeexplore.ieee.org/document/9872663
Die Masterarbeit in Kooperation mit der Universität Helsinki finden Sie unter https://helda.helsinki.fi/items/90180dc7-3d4a-4ad9-9d60-2aaecadb64b2
Weitere Informationen zum Projekt xBloks finden Sie unter: https://csmrt.hs-mittweida.de/portfolio-items/wir-xbloks-blockchain-basiertes-esports-profiling/
Die Publikation zum standardisierten Format für Telemetriedaten finden Sie unter https://ieeexplore.ieee.org/document/10796414
Weitere Informationen zum Projekt SABInnoteam finden Sie unter https://csmrt.hs-mittweida.de/portfolio-items/sab-innoteam/?portfolioCats=9
